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Elfenbeinküste Blog
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Autor: Michael Lieder
Aktualisiert: 21. Januar 2024

Spiritualität gegen moderne Behandlungsmethoden

In der Elfenbeinküste gibt es fast keine staatlich geförderten psychiatrische Versorgung und keine spezialisierten psychosozialen Einrichtungen. In einigen Städten gibt es jedoch einige große, aber veraltete psychiatrische Krankenhäuser. Für Familien und Patienten sind die Zentren traditioneller oder spiritueller Heiler oft die erste Anlaufstelle für eine Betreuung. In internationalen Erhebungen wurde in vielen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß über Menschenrechtsverletzungen sowohl in konventionellen als auch in nicht konventionellen Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung berichtet, die hauptsächlich von Enthüllungsjournalisten, privaten Initiativen wie St. Camille und Menschenrechtsorganisationen, aber auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen dokumentiert wurden. Besonders alarmierend ist die Situation psychisch Kranker in nicht konventionellen Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung. In diesen Einrichtungen sind die Patienten mehr oder weniger oft gefesselt und erhalten weder Nahrung noch eine angemessene Unterkunft. Sie können körperlich und seelisch misshandelt und ihrer Würde beraubt werden. Gesundheitspolitische Maßnahmen und gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Rechte dieser besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen sind schlicht nicht vorhanden, weil die Regierung diese Menschen nicht unterstützt, sondern sie dubiosen Heilern und Propheten überlässt.

Elfenbeinküste - Côte d'Ivoire

Bethel, ein Gebetszentrum

Ein paar Autostunden von Bouaké entfernt steht heute eines der Gebetszentren auf der Besuchsliste, wir wollen zusammen mit den Sozialarbeitern und der Organisation St. Camille herausfinden, ob es 2022 auch noch Menschen gibt, die fernab von jeder Menschlichkeit ihr Dasein angekettet ertragen müssen. Solche Gebetszentren von selbsternannten Heiligen oder Propheten gibt es hauptsächlich in der südlichen Hälfte und sie sind gleichermaßen in ländlichen und städtischen Gebieten angesiedelt. Die Region Gbêkê, einschließlich ihrer Hauptstadt Bouaké, stellt mit insgesamt 84 Einrichtungen die höchste regionale Zahl in der Elfenbeinküste. Nach außen gibt sich der geistige Führer wie ein hilfsbereiter Mensch, der nur um das Wohl seiner Schützlinge besorgt ist. Es bildet sich eine dorfähnliche Gemeinschaft, die sich um den Propheten ansammelt und von der er sein irdisches Leben bestreitet.

Elfenbeinküste - Côte d'Ivoire

Schicksale in Ketten

Der evangelikale Leiter, der sich als Prophet Alloko vorstellte, empfing uns in einer überdachten Versammlungshalle, die auch für die Dorfgemeinschaft das zentrale Gebäude bildet. Das Dörfchen wird von dem ehemaligen Tierarzt geleitet und beherbergt ungefähr 200 Individuen, darunter auch Kranke, die bisweilen von ihrer Familie oder einem Angehörigen begleitet werden.

Nach einigen Erläuterungen und Versprechen, dass wir "ehrliche Absichten" haben, durften wir uns in seiner Begleitung im Dorf umsehen. Die Patienten und Patientinnen schliefen auf dem Fußboden in kleinen, Hütten aus Plastikplanen immer um einen Baum herum gebaut. Das ist der Lebensraum, den der Gottesmann seinen Schutzbefohlenen zusteht. Keine Krankenversorgung, keine Medikamente und kein Zuspruch, sondern Heilung allein durch Gebete, das ist, so versichert er uns, sein Erfolgsrezept. Viel besser als es die moderne Medizin jemals können wird. 

Ein paar Tage, ein paar Wochen, Monate, ein Jahr oder drei Jahre... die Zeit bis zur Heilung variiert von einem Kranken zum anderen, je nachdem, wer Gottes segnende Erleuchtung erfährt. Erst dann ist der Patient geheilt. Was wir hier zu sehen bekommen kann ich kaum in Worte fassen, man möchte diese armen Menschen einfach nur in den Arm nehmen, mit ihnen sprechen und in eine Umgebung mitnehmen, die sich um ihre Probleme kümmert. Das ist aber leider nicht möglich, da die innenpolitische Macht der Gebetszentren so groß ist, dass niemand es wagt diese Scharlatane in die gesetzlichen Schranken zu weisen. Sicher gibt es gelegentlich sogenannte Befreiungen, aber was wir allein hier in Bethel sehen ist der normale Umgang mit psychischen Krankheiten.

Hochgerechnet für die Region Bouakè:
ca. 7-10 Menschen pro Gebetszentrum, die unmenschlichen Behandlungen durch Freiheitsentzug ausgesetzt sind, entspricht Stand 2022 ca. 588 bis 840 Schicksale, die von der Welt unbeachtet den Gottesmännern ausgeliefert sind.

Elfenbeinküste - Côte d'Ivoire

Hilfe wird benötigt

Die Aufnahme der Erkrankten in diese Gebetslager ist natürlich auch kostenpflichtig. 3000 Fcfa als Anmelde- oder Beratungsgebühr, um die Dienste des Mann Gottes in Anspruch nehmen zu dürfen, der seine "Fähigkeit der Heilung" auf einen himmlischen Ruf zurückführt. Seine Fähigkeit kann nicht an Sterbliche weitergegeben oder vererbt werden.

Studien zufolge setzen in der Region die Masse der Gebetslager die Gebetstherapie als Behandlungsverfahren und Gesundung von psychisch Erkrankten ein. Allerdings ergänzen sich Gebet und moderne oder traditionelle Medizin nur selten. Es ist eine gewisse Konkurrenz zwischen fortschrittlicher und altüberlieferter Medizin sowie der Gebetstherapie zu spüren. Hier kommen die Hilfsorganisationen zum Tragen, sie versuchen wie etwa St. Camille e. V. das Leid der Menschen durch private Unterstützung zu mildern. Hier in Bethel haben wir auch den Mindful Cange Foundation Cote DÍvoire kennengelernt, der hier vor Ort Hilfe anbietet und die Menschen unterstützt. Diese Organisationen haben sich folgendes auf Ihre Fahnen geschrieben:

• Entstigmatisierung der psychischen Erkrankungen
• Aufarbeitung der nationalen Gesetzgebung
• Entwicklung nationaler Health-Programme
• Ausbildung nicht psychiatrischer Krankenpfleger
• Versorgung als Ergänzung zum staatlichen System
• Ambulante und stationäre Arbeit
• Regelmäßige Versorgung mit Medikamenten
• Stationäre Behandlungsplätze in Krankenhäusern

Besonders hervorzuheben finde ich, dass die Menschen vor Ort ausgebildet werden und dann in der Lage sind eigenverantwortlich zu helfen. Das ist besser und nachhaltiger als, wenn die Hilfe ausschließlich fremdgesteuert aus dem Ausland kommt.

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