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Elfenbeinküste Blog

Mit den Streetworker unterwegs

In einem Land wie der Elfenbeinküste droht obdachlosen Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht nur der soziale Abstieg – oft geraten sie völlig in Vergessenheit.

Reiseblog24 | Mit den Streetworker unterwegs

Die Streetworker von Bouaké

Von ihren Familien verstoßen, landen viele in fragwürdigen Gebetszentren oder direkt auf der Straße. Dort kämpfen sie täglich ums Überleben: Abgemagert bis auf die Knochen, finden sie nur selten jemanden, der ihnen etwas zu essen bringt. Meistens sind sie gezwungen, sich von Abfällen zu ernähren. Dabei sind sie Krankheiten und Parasiten ausgesetzt, deren Ausmaß wir uns kaum vorstellen können.

Der Verein Menschen ohne Ketten e.V. setzt genau hier an: Er unterstützt psychiatrische Einrichtungen in Bouaké und widmet sich gleichzeitig den Obdachlosen der Stadt. Mit Schlafplätzen, Nahrung und menschlicher Zuwendung versuchen die Helfer, ihnen neue Hoffnung zu geben.

Wir haben die Möglichkeit, die Streetworker einige Tage bei ihrer Arbeit zu begleiten – eine eindrucksvolle Erfahrung, die die unsichtbaren Herausforderungen und die stille Stärke dieser Menschen ins Licht rückt.

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9351 Aufrufe
Autor: Michael Lieder
Aktualisiert: 10. Dezember 2024

Streetworker

Der Verein Menschen ohne Ketten e.V. aus Reutlingen engagiert sich seit Jahren für psychisch erkrankte Menschen in der Elfenbeinküste. Mit der Finanzierung von Medikamenten und der Unterstützung beim Aufbau von Therapie- und Rehabilitationszentren schafft der Verein lebenswichtige Strukturen. Eine zentrale Aufgabe der Streetworker vor Ort ist es, die Betroffenen auf den Straßen zu finden und ihnen mit Zuwendung, Hygiene und Kleidung zumindest ein wenig Würde zurückzugeben.

Diese Menschen, vom Schicksal gezeichnet, treiben ohne Ziel durch die Straßen der Marktplätze, Vororte und Dörfer von Bouaké. Barfuß, ausgestoßen, mit verfilzten Haaren und von Parasiten geplagt, kleiden sie sich in Lumpen. Ihre Gesichter sind oft wie versteinert – ein abgrundtiefes Schweigen umgibt sie, oder sie starren ausdruckslos in das Leben, das sie längst nicht mehr als ihres empfinden.

Die Bilder erzählen die Geschichte eines kranken Obdachlosen, den das Team vor einem Elektromarkt entdeckt hat. Nach der ersten Kontaktaufnahme lief er zunächst weg, kehrte aber schließlich zurück und ließ sich versorgen. Auf offener Straße erhielt er eine dringend nötige Körperpflege – die erste seit Wochen – sowie frische Kleidung, die das Team mitgebracht hatte. Zahlreiche Schaulustige beobachteten die Szene, behinderten die Arbeit der Streetworker jedoch nicht. Zum Abschluss schenkte ihm ein Handyladenbesitzer eine Kappe – eine kleine Geste, die dennoch viel bedeutet.

Tragischerweise fand das Team den Mann bereits am nächsten Tag wieder, schlafend und apathisch an derselben Ecke. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein, doch die Arbeit der Streetworker zeigt, dass es eine kleine Gruppe von Menschen gibt, die nicht wegsehen. Sie setzen sich ein für jene, die sonst keine Stimme haben, und erinnern daran, dass Mitmenschlichkeit auch in den schwierigsten Umständen möglich ist.

Arbeit ohne Ende

Es ist oft eine Herausforderung, obdachlose Menschen in eine der vom Verein unterstützten Stationen zu bringen. Niemand wird gezwungen, Hilfe anzunehmen, wenn er es nicht möchte. Die Arbeit auf der Straße ist anstrengend, nicht zuletzt, weil viele Menschen die Obdachlosen ignorieren und so tun, als existierten sie nicht. Doch ich habe gelernt: Ein paar einfache Worte können Brücken bauen. Manchmal genügt es, sich wirklich auf jemanden einzulassen, um Vertrauen zu schaffen und die Unterstützung anzubieten, die gebraucht wird.

Heute stehen wir an einem zentralen Platz, vor einem alten Hotel, das nur noch aus einem sonnengebleichten, verschimmelten Betonskelett besteht. Alles Verwertbare wurde längst entfernt, und in den unteren Etagen liegt Müll, der sich zu kleinen Bergen türmt. Hier, zwischen den Überresten, ist der Treffpunkt vieler Obdachloser. Der Gestank ist kaum auszuhalten: fauliger Dampf, der aus dem feuchten Boden aufsteigt, vermischt mit Fäkalien, Tierkadavern und Abfall. Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen hier nach einem Stückchen Normalität suchen – nach Essen, vielleicht sogar einem Schlafplatz.

Heute finden wir mehrere Menschen in Not. Einige von ihnen sind krank, brauchen dringend Versorgung. Einer der Männer erklärt sich bereit, uns zu begleiten. Wir bringen ihn in die Männerpsychiatrie, wo er medizinisch betreut und beobachtet werden soll. Er spricht nicht, weder mit uns noch mit den Helfern. Alles lässt er schweigend über sich ergehen, apathisch, fast abwesend. Passanten bleiben stehen, genauso wie Kinder, die das Geschehen neugierig betrachten. Anders als erwartet höre ich keine Spottlacher, keine bösen Kommentare. Stattdessen sehe ich Mitleid in ihren Gesichtern, gepaart mit einer Spur Neugier. Während wir weiterarbeiten, geschieht etwas Überraschendes: Ein weiterer Mann tritt zu uns und bittet um Hilfe. Sofort wird auch ihm geholfen – ohne zu zögern, ohne Fragen, ohne Vorwürfe. Genau das ist es, was die Arbeit der Streetworker so besonders macht. Sie urteilen nicht. Sie machen keine Vorschriften. Sie helfen einfach – still, unkompliziert, menschlich.

Ein bisschen Hoffnung

Laut Studien von Bernard Granger, Professor für Psychiatrie an der Universität Paris-Descartes und praktizierender Arzt am Hôpital Tarnier, ist der Begriff “Heilung” in der Psychiatrie schwer zu greifen. Das Ideal, das er verkörpert, bleibt oft unerreichbar. Heilung kann bedeuten, eine psychische Erkrankung auf eine einmalige Episode zu begrenzen, die mit einer vollständigen Rückkehr zum vorherigen Zustand endet. Ebenso kann sie jedoch als Wiederherstellung eines neuen, stabilen Gesundheitszustands verstanden werden.

Quelle: Bernard Granger, Paris Descartes, CPSC, Paris | Paris 5 (researchgate.net)

Der Verein Menschen ohne Ketten e.V. ist eine private Initiative und kleine Hilfsorganisation, die sich einem oft übersehenen Thema widmet: der Unterstützung psychisch Kranker in Afrika. Wer mich kennt, weiß, dass ich normalerweise mit großen Worten zurückhaltend bin. Doch hier mache ich eine Ausnahme – weil diese Arbeit schlicht beeindruckend ist.

In vielen Ländern Afrikas versagen sowohl die Religion als auch die Regierung, wenn es darum geht, psychisch kranken Menschen zu helfen. Umso wichtiger ist die Arbeit von Organisationen wie dem Verein Menschen ohne Ketten e.V.. Sie leisten dort Unterstützung, wo sie am dringendsten benötigt wird.

Mein Appell: Wenn dich dieses Anliegen berührt und du ein wenig von deinem Wohlstand abgeben kannst, unterstütze diesen Verein. Jeder Beitrag – egal wie klein – macht einen Unterschied im Leben dieser Menschen.

Diese Arbeit wird ausschließlich durch private Spenden ermöglicht. Die Partnerorganisationen in der Elfenbeinküste und Burkina Faso erhalten bisher keine finanzielle Unterstützung durch ihre Regierungen – lediglich moralischen Zuspruch. Umso mehr zählt jede einzelne Spende. Gemeinsam können wir helfen!

SPENDENKONTO
Freundeskreis St. Camille e.V.
Kreissparkasse Reutlingen
IBAN: DE65 6405 0000 0000 0097 95
BIC: SOLADES1REU

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