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Japan Blog

Ryōgoku, Tokio: Zu Besuch beim Sumo – Training & Turnier hautnah

Japan im Frühling, unterwegs im Land der aufgehenden Sonne

Reiseblog24 | Ryōgoku, Tokio: Zu Besuch beim Sumo – Training & Turnier hautnah

Sumō Kämpfe

Japans wuchtigste Tradition mit Herz und Ritual

Sumō ist mehr als ein Sport. Es ist ein lebendiges Stück japanischer Kultur, ein uraltes Ritual – und ein Spektakel, das zwischen sakralem Ernst und brachialer Körperlichkeit pendelt. Wer zum ersten Mal einen Sumo-Ring betritt – oder besser: sich in die Arena wagt –, spürt sofort, dass hier andere Regeln gelten. Nicht nur sportlich, sondern auch spirituell.

Die Ursprünge des Sumō reichen über 1.500 Jahre zurück. Einst wurde der Kampf der Kolosse zur Belustigung der Götter abgehalten. Heute ist er Nationalsport – und trotz schrumpfender Fanbasis unter Jugendlichen immer noch tief im kulturellen Bewusstsein verankert. Besonders in Tokio, im Stadtteil Ryōgoku, wo sich das Herz des Sumō schlägt. Hier stehen das berühmte Ryōgoku Kokugikan (die nationale Sumo-Halle), zahlreiche Trainingsställe – die sogenannten Heya – und Sumo-Restaurants mit dem berühmten Kraftfutter Chanko-Nabe. Sumō ist ein Sport der Gegensätze. Die Kämpfe dauern oft nur Sekunden, sind aber von stundenlangen Ritualen umgeben: das rituelle Salzwerfen zur Reinigung, das Stampfen zur Vertreibung böser Geister, das konzentrierte Schweigen vor dem explosiven Aufprall. Kein Schiedsrichter-Gepfeife, kein Gebrüll – nur Respekt, Präzision und rohe Kraft.

Aber Sumō ist auch ein System mit strengen Regeln. Die Lebensweise der Ringer gleicht einem klösterlichen Regiment: frühes Aufstehen, Training bis zur Erschöpfung, streng geregelte Hierarchien. Die Jüngeren bedienen, die Älteren herrschen – und das alles mit stoischer Selbstverständlichkeit.

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Morgentraining im Sumo-Stall

Schwitzen mit Stil und Geschichte

Wer Sumō live erleben will – sei es bei einem der sechs großen Turniere oder beim morgendlichen Training in einem Sumo-Stall – taucht ein in eine Welt, in der jede Bewegung ein jahrhundertealtes Echo trägt. Ein Erlebnis, das einem nicht nur im Gedächtnis bleibt, sondern auch im Zwerchfell – spätestens, wenn man einem 150-Kilo-Koloss dabei zusieht, wie er fast lautlos und mit der Grazie einer Raubkatze durch die Halle schwebt. Ja, schwebt. Und das in Mawashi – also in dem Stoffstreifen, der sich mit etwas Wohlwollen als Gürtel bezeichnen lässt.

Wir waren in Ryōgoku, Tokyos Sumo-Herz, und kamen kurz nach Trainingsbeginn an. Noch bevor der erste Griff gesetzt war, stand der Schweiß schon in der Luft. Die Aufwärmphase war erstaunlich vertraut – Dehnübungen, Fußarbeit, kontrollierte Bewegungsabläufe. Fast wie beim Fußballtraining, nur dass hier niemand aus Spaß fällt.

Dann wurde es ernst – und lautlos. Denn was beim Sumo wie roher Körperkontakt aussieht, ist in Wahrheit eine hochpräzise Choreografie. Angriffsformationen, Verteidigungsmanöver, das blitzschnelle Herausdrücken des Gegners aus dem Ring – alles wird in der Gruppe geübt, vom erfahrenen Schwergewicht bis zum ambitionierten Nachwuchs, der mit großen Augen (und kräftigen Oberschenkeln) von den Besten lernt.

Es wirkt wie ein orchestriertes Donnerwetter: Zwei menschliche Lokomotiven rasen aufeinander zu – ohne Gleise, aber mit Ziel. Dabei ist nicht nur rohe Kraft gefragt. Sumō ist auch Schach mit Körperkontakt: Reaktionsschnelligkeit, Taktik, mentale Stärke – alles fließt in den Ring mit ein.

Und wenn dann Schweiß wie Konfetti durch den Raum fliegt und jeder Ringer seinen Trainingsplan mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks abspult, dann begreift man: Hier geht es nicht um Show, sondern um Tradition, Disziplin – und den täglichen Kampf, diese uralte Kultur in der Moderne lebendig zu halten.

Ein Besuch im Sumo-Stall ist kein touristisches Spektakel. Es ist ein Blick hinter die Kulissen einer Lebensweise, die man nur verstehen kann, wenn man sie erlebt hat. Und spätestens beim Abschied merkt man: Hier kämpft nicht nur der Körper – hier ringt auch die Seele.

Michael Lieder | Reiseblog24

Die Stars der Sumo-Szene werden begrüßt wie Rockstars und sind auch vereinzelt gerne für ein Selfie bereit. Ich habe die Sumo im Gespräch als sehr offen und weltgewandt erlebt. Die meisten in perfektem Englisch, was den internationalen Touch unterstreicht.

Michael Lieder | Reiseblog24

Sumō, Schweiß und Sitzplatzstress

Unser Tag beim Mai-Basho 2025 in Tokio

Wer Japan im Mai besucht, sollte nicht nur auf blühende Gärten und grünen Tee setzen – sondern auch auf gepuderte Giganten in knappen Schurzlappen. Und genau das haben wir gemacht: Wir haben unseren Tokio-Aufenthalt so getimt, dass wir einen Tag des legendären Mai-Basho live miterleben konnten – mitten im Ryōgoku Kokugikan, der heiligen Halle des Sumō.

Backstage-Atmosphäre vor dem Haupteingang

Schon draußen am Eingang brodelte es. Die Stimmung: irgendwo zwischen Rockkonzert und Kultstätte. Die Sumō-Kämpfer bahnten sich ihren Weg vom Taxi zur Arena durch eine Traube von Fans – viele davon deutlich jenseits der Siebzig, aber mit leuchtenden Augen wie Teenager auf BTS-Konzert. Es ist eben ein Sport, der Generationen verbindet – mit Ritual, Respekt und ordentlich Rumms.

Der Ticketkampf – wie bei Taylor Swift, nur mit mehr Schweiß

Karten? Eine Odyssee. Ich hatte mir fein säuberlich ausgerechnet, wann die Ticketfreigabe auf der offiziellen Website der Sumō-Vereinigung starten sollte – unter Berücksichtigung der sieben Stunden Zeitverschiebung. Ich fühlte mich bereit. Nur leider fühlte sich das offenbar halb Japan auch. Die Seite war komplett überlastet. Ich klickte wie ein Wahnsinniger auf „Kaufen“, als würde ich versuchen, die letzte Klopapierrolle im Ausverkauf zu sichern – aber nix da. Keine Tickets.

Ein paar Tage später dann der Trick: Karten über GetYourGuide. Gleiche Show, dreifacher Preis. Statt 5000 Yen standen plötzlich rund 15.000 Yen (89 €) pro Person auf der Rechnung. Da bekommt man einen Hals wie ein Ōzeki – und sehnt sich nach personalisierten Fußballkarten und digitalen Fairnessregeln.

 

Drinnen wird’s episch

Die Halle – ein Hexenkessel. Menschenmengen, die wie auf Knopfdruck mitfiebern, jubeln, innehalten. Eine Atmosphäre, die selbst Sumō-Neulinge wie uns sofort mitreißt – auch wenn wir nicht jeden kollektiven Seufzer verstehen. Die kleinen Nuancen dieses urjapanischen Sports erschließen sich wohl erst beim dritten oder vierten Besuch (oder nach einem Philosophiestudium mit Nebenfach Shintō). Auf der zentralen Bühne endet gerade ein Vorkampf der weniger bekannten Ringer, dann beginnt das große Spektakel: die Hauptkämpfe. Eine Beobachtung sticht sofort ins Auge: Je berühmter der Kämpfer, desto mehr Sponsorenfahnen werden vor Kampfbeginn im Kreis um den Ring getragen. Bei den Top-Ringern reichten irgendwann nicht mehr ein, sondern gleich drei Runden Fahnenläufer – wie ein Werbemarathon in Zeitlupe.

Sportgeschichte live: Highlights des Mai-Basho 2025

Vom 11. bis 25. Mai 2025 verwandelte sich der Ryōgoku Kokugikan in das pulsierende Zentrum des Sumō. Und wir mittendrin.

Ōnosato – Der Shootingstar wird Yokozuna

Mit gerade mal 24 Jahren dominierte Ōnosato das Turnier mit 14 Siegen und nur einer Niederlage. Bereits am 13. Tag stand der Turniersieg fest – und wenig später die Ernennung zum 75. Yokozuna, dem höchsten Rang im Sumō. Bemerkenswert: Er erreichte diesen Titel in nur 13 Turnieren – so schnell wie kein anderer in der modernen Ära.

Hōshōryū – Der Platzhirsch zeigt Zähne

Hōshōryū, Yokozuna seit Januar und Neffe der Sumō-Legende Asashōryū, beendete das Turnier mit starken 12 Siegen. Am letzten Tag lieferte er sich ein echtes Spektakel mit Ōnosato – und verhinderte dessen makellose Bilanz. Die beiden liefern sich nun eine Rivalität, die Sumō-Fans weltweit elektrisiert.

Weitere Highlights und Preisverleihungen
  • Kusano siegte mit 13-2 in der Jūryō-Division und steht vor dem Sprung in die Makuuchi-Liga.
  • Sonderpreise gingen an:
    • Aonishiki und Sadanoumi für außergewöhnlichen Kampfgeist.
    • Kirishima und Wakatakakage für technische Exzellenz.
Abschied eines Zeremonienmeisters

Emotional wurde es am letzten Turniertag auch abseits des Rings: Satonofuji, 48 Jahre alt und bekannt für seine rituellen Bogenzeremonien, verabschiedete sich nach fast drei Jahrzehnten von der aktiven Bühne. Ein stiller Held des Sports, der mit Anmut und Würde den Ring verließ.

Fazit? Sumō ist kein Spektakel – es ist ein Ritual, ein Tanz mit donnerndem Einschlag. Wer die Gelegenheit hat, ein Turnier in Japan zu besuchen, sollte sich das nicht entgehen lassen. Auch wenn der Ticketkauf an den Nerven zehrt und die Sitzkategorie etwas flexibler interpretiert wird als im deutschen Theater – am Ende zählt nur eines: dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Und das haben wir.

Michael Lieder | Reiseblog24
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Sumō – Die Regeln und Rituale im Überblicktest

Sumō ist nicht einfach „dicke Männer schubsen sich raus“ – es ist ein Kampfkunst-Ballett, bei dem Strategie, Präzision und jahrhundertealte Tradition in Sekunden aufeinandertreffen. Wer einmal live dabei war, wird das nicht mehr mit denselben Augen sehen – und vermutlich auch nie wieder über das Gleichgewicht lästern.


Der Ring (Dohyō)

Gekämpft wird im Dohyō, einem runden Ring mit etwa 4,55 Metern Durchmesser. Er besteht aus festgestampfter Erde, eingefasst von einem dicken Strohseil. In der Mitte markieren zwei weiße Linien die Startposition der Ringer.

Ziel des Kampfes

Ein Sumō-Kampf ist entschieden, wenn:

•        ein Ringer den Ring verlässt, oder

•        mit einem anderen Körperteil als den Fußsohlen den Boden berührt – also z. B. mit der Hand, dem Knie oder der Hüfte.

Dabei zählt jeder noch so kleine Fehler – selbst ein Wackler mit dem großen Zeh außerhalb des Rings kann den Kampf beenden.

Vor dem Kampf – das Ritual

Sumō ist tief in der Shintō-Tradition verwurzelt. Daher folgt vor jedem Kampf ein festes Ritual:

•        Der Ring wird symbolisch mit Salz gereinigt (zur Vertreibung böser Geister).

•        Die Ringer stampfen mit den Füßen auf – das soll die Erde reinigen.

•        Beide begeben sich in die Startposition (Shikiri) und liefern sich einen psychologischen Schlagabtausch mit Blickduellen und „Trockenstarts“.

Das Ganze kann – gerade bei Top-Kämpfern – Minuten dauern, ist aber Teil der Spannung.

Der Beginn – kein Startsignal

Der Kampf beginnt, wenn beide Ringer gleichzeitig ihre Fäuste auf den Boden setzen. Es gibt kein Kommando – nur gegenseitiges Einvernehmen. Wer zu früh loslegt, muss den Start wiederholen.

Erlaubte Techniken

Über 80 offiziell anerkannte Siegtechniken gibt es – darunter:

•        Yorikiri: Den Gegner rückwärts aus dem Ring schieben

•        Oshidashi: Herausdrücken ohne Griff am Mawashi

•        Uwatenage: Überwurf mit äußerem Griff am Gürtel

•        Tsukiotoshi: Mit einem Stoß aus dem Gleichgewicht bringen

Was ist verboten?

Trotz des wilden Eindrucks gibt es klare Tabus:

•        Kein Schlagen mit der Faust

•        Kein Haareziehen, Beißen oder Würgen

•        Keine Tritte unterhalb der Gürtellinie

•        Keine Finger in Augen, Ohren oder Nase

 

Verstöße führen zur sofortigen Disqualifikation – auch wenn sie unbeabsichtigt passieren.

Dauer des Kampfes

Sumō-Kämpfe sind extrem kurz – viele sind nach wenigen Sekunden entschieden. Kämpfe über eine Minute sind echte Ausnahmen und besonders spektakulär.

Der Schiedsrichter (Gyoji)

In traditioneller Kleidung und mit Fächer bewaffnet, leitet der Gyoji den Kampf. Bei knappen Entscheidungen können fünf Seitenrichter (Shimpan) den Kampf überprüfen und ggf. wiederholen lassen.

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Melanie auf Reisen
Gerade zur richtigen Zeit
Danke für die praktischen Hinweise zur Reisezeit und zur Unterkunft! Ich plane gerade meine erste Japanreise und dein Artikel kam genau zur richtigen Zeit. Gibt’s bald auch was über Japan im Sommer? 😊
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Marco_89
Kosten fehlen...
Der Beitrag ist wirklich schön geschrieben, aber mir fehlt ein bisschen die Info zu den Kosten vor Ort. Gerade Japan gilt ja als eher teuer – ein kleiner Abschnitt zu Tagesbudget oder Spartipps wäre super gewesen!
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TravelNerdChris
Danke für die Infos
Cooler Artikel, aber es wäre toll, wenn du noch ein bisschen mehr über das Essen geschrieben hättest! Streetfood, regionale Spezialitäten – das ist für viele (mich eingeschlossen 😄) ein Highlight jeder Reise.
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Helena87
Japan ist mein Traum
Klasse Beitrag! Besonders die Erklärungen zum Verhalten in öffentliche n Verkehrsmitteln und Restaurants waren sehr aufschlussreich . Perfekt für Japan-Reisende! Ich bin gespannt auf deine Berichte und hoffe, dass ich nächstes Jahr auch alles mal selbst erleben kann.
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Lorenz
Benimmregeln in Japan
Super spannend zu lesen, wie wichtig Höflichkeit in Japan ist. Der Artikel bringt die kulturellen Unterschiede toll rüber und hilft, peinliche Fettnäpfchen zu vermeiden!
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