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Spiritualität und moderne Behandlungsmethoden

Dieser Zustand verdeutlicht die dringende Notwendigkeit für Reformen in der psychischen Gesundheitsversorgung der Elfenbeinküste.

Reiseblog24 | Spiritualität und moderne Behandlungsmethoden

Perspektiven für Menschen in Westafrika

Neben einem Ausbau der konventionellen Behandlungsmöglichkeiten sind Bildungsinitiativen und Aufklärungskampagnen notwendig, um Stigmata gegenüber psychischen Erkrankungen abzubauen und die Rechte der Betroffenen zu stärken.

In der Elfenbeinküste gibt es kaum staatlich geförderte psychiatrische Versorgung oder spezialisierte psychosoziale Einrichtungen. Zwar existieren in einigen Städten größere psychiatrische Krankenhäuser, doch diese sind oft veraltet und bieten nur eingeschränkte Hilfe. Für viele Familien und Betroffene sind daher traditionelle oder spirituelle Heiler die erste Anlaufstelle, wenn es um die Betreuung psychischer Erkrankungen geht.

Internationale Studien zeigen, dass Menschenrechtsverletzungen in psychiatrischen Einrichtungen – sowohl in konventionellen als auch in nicht-konventionellen – in vielen Ländern ein gravierendes Problem darstellen. Diese Missstände werden regelmäßig von Enthüllungsjournalisten, privaten Initiativen wie „Menschen ohne Ketten e.V.“, Menschenrechtsorganisationen und wissenschaftlichen Publikationen dokumentiert. Besonders besorgniserregend ist die Situation in nicht-konventionellen Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung.

Hier werden psychisch Kranke häufig in Ketten gelegt, erhalten keine ausreichende Nahrung und leben unter menschenunwürdigen Bedingungen. Fälle von körperlicher und seelischer Misshandlung sind keine Seltenheit. Den Patienten wird ihre Würde genommen, und es fehlt jeglicher Schutz vor Übergriffen. Gesundheitspolitische Maßnahmen oder gesetzliche Bestimmungen, die die Rechte dieser besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen sichern könnten, existieren schlichtweg nicht. Stattdessen überlässt die Regierung diese Menschen häufig dubiosen Heilern und selbsternannten Propheten.

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Autor: Michael Lieder
Aktualisiert: 10. Dezember 2024

Spiritualität versus moderne Behandlungsmethoden: Die Situation in der Elfenbeinküste

Bethel: Ein Gebetszentrum und seine dunklen Schattenseiten

Nur wenige Autostunden von Bouaké entfernt führt unser Weg heute zu einem der sogenannten Gebetszentren. Gemeinsam mit den Sozialarbeitern der Organisation St. Camille möchten wir untersuchen, ob auch im Jahr 2022 noch Menschen in unmenschlichen Bedingungen leben – angekettet, entrechtet und ihrer Würde beraubt. Diese Gebetszentren, oft von selbsternannten Propheten oder Heiligen gegründet, haben sich in der südlichen Hälfte der Elfenbeinküste ausgebreitet. Sie existieren sowohl in abgelegenen Dörfern als auch mitten in den Städten. Die Region Gbêkê, deren Hauptstadt Bouaké eine der wichtigsten Städte des Landes ist, weist mit insgesamt 84 solcher Einrichtungen die höchste Dichte auf.

Die Rolle der Propheten und ihrer Gemeinschaften

Die Gründer dieser Zentren präsentieren sich nach außen oft als spirituelle Führer, die Heilung und Zuflucht versprechen – insbesondere für Menschen mit psychischen Erkrankungen, Drogensucht oder sozialen Problemen. Ihre Botschaft findet Gehör in einer Gesellschaft, in der der Zugang zu professioneller medizinischer und psychologischer Versorgung oft unzureichend ist und traditionelle Heilmethoden weiterhin großen Einfluss haben. Innerhalb der Zentren formieren sich dorfähnliche Gemeinschaften, die vollständig um den “Propheten” oder “Heiligen” herum organisiert sind. Diese Gemeinschaften übernehmen Aufgaben wie Landwirtschaft oder handwerkliche Tätigkeiten, um das Zentrum wirtschaftlich zu erhalten – und den Lebensunterhalt des Führers zu sichern. Doch hinter der scheinbaren Harmonie brodelt es. Viele Bewohner werden nicht freiwillig hierhergebracht, sondern von Angehörigen übergeben, die sich keine andere Hilfe für ihre Verwandten leisten können.

Die verborgene Realität: Anketten und Isolation

Obwohl diese Einrichtungen als Orte der Heilung dargestellt werden, berichten Augenzeugen immer wieder von gravierenden Missständen. Einige Bewohner werden als “gefährlich” oder “böse” abgestempelt und angekettet, isoliert oder gezwungen, schwere Arbeit zu verrichten. Die Ideologie der Propheten rechtfertigt diese Praktiken oft als “spirituelle Reinigung” oder notwendige Bestrafung, um angebliche Dämonen auszutreiben.

Warum passiert das?

Die Wurzeln dieses Phänomens reichen tief in die soziale und wirtschaftliche Struktur des Landes. Der Mangel an staatlicher Gesundheitsversorgung, insbesondere in Bezug auf psychische Erkrankungen, zwingt viele Familien, alternative Wege zu suchen. Zudem haben religiöse Führer in vielen Gemeinschaften einen hohen sozialen Status und Einfluss, was es schwierig macht, gegen sie vorzugehen. Selbst wenn Missstände bekannt werden, fehlt oft der politische Wille oder die rechtliche Handhabe, um diese Zentren effektiv zu regulieren oder zu schließen.

Ein Schritt in die Zukunft

Der heutige Besuch wird nicht nur ein Blick hinter die Kulissen sein, sondern auch ein Appell, über die Rolle solcher Einrichtungen in der modernen Gesellschaft nachzudenken. Wie kann ein System geschaffen werden, das den Menschen echte Hilfe bietet, ohne sie ihrer Würde zu berauben?

So fanden wir das Lager vor: Ein Mädchen, gerade aus der Schule herausgerissen, wurde wegen ihrer Epilepsie mit Ketten an einen Baum gefesselt. Im hinteren Bereich sahen wir einen jungen Mann, der mit schweren psychischen Störungen kämpfte. Er hatte aus Verzweiflung sogar seine behelfsmäßige Unterkunft zerstört. Diese Szenen vor Ort waren kaum zu ertragen – sie brennen sich ins Gedächtnis ein und lassen einen sprachlos zurück.

Michael Lieder | Reiseblog24

Schicksale in Ketten

Der evangelikale Anführer, der sich selbst als Prophet Alloko vorstellte, empfing uns in einer schlichten Versammlungshalle. Dieses zentrale Gebäude dient nicht nur als Gebetsstätte, sondern auch als Treffpunkt für die Dorfgemeinschaft. Das kleine Dorf, das von einem ehemaligen Tierarzt geleitet wird, beherbergt etwa 200 Menschen – darunter auch Kranke, die manchmal von ihren Familien oder Angehörigen begleitet werden.

Nach langen Erklärungen und der Zusicherung, dass wir “gute Absichten” verfolgten, durften wir das Dorf in seiner Begleitung erkunden. Was wir sahen, ließ uns tief erschüttert zurück. Die Kranken schlafen auf dem nackten Boden, in winzigen, improvisierten Hütten aus Plastikplanen, die oft um einen Baum errichtet sind. Dieser armselige Lebensraum ist das Einzige, was der sogenannte Prophet seinen Schutzbefohlenen zugesteht. Von medizinischer Versorgung oder Medikamenten fehlt jede Spur. Stattdessen verspricht er Heilung allein durch Gebete – ein “Rezept”, das, wie er überzeugt behauptet, der modernen Medizin weit überlegen sei.

Die Dauer der “Behandlung” variiert stark: ein paar Tage, Wochen, Monate – manchmal sogar Jahre. Es hängt, so sagt man, davon ab, wann der Betroffene Gottes segnende Erleuchtung empfängt. Erst dann gilt er als geheilt. Die Szenen, die sich uns hier boten, lassen sich kaum in Worte fassen. Man möchte diese Menschen einfach nur in den Arm nehmen, mit ihnen sprechen und sie in eine Umgebung bringen, die ihnen tatsächlich helfen kann. Doch das bleibt ein Wunschtraum. Die Macht dieser Gebetszentren ist so groß, dass sich niemand wagt, die Praktiken der vermeintlichen Gottesdiener ernsthaft zu hinterfragen oder ihnen gesetzliche Grenzen zu setzen.

Zwar gibt es Berichte über gelegentliche staatliche Eingriffe, sogenannte “Befreiungen”, doch das, was wir in diesem Dorf, das den Namen Bethel trägt, gesehen haben, ist der Alltag im Umgang mit psychischen Erkrankungen.

Für die Region Bouaké lässt sich das Problem hochrechnen: Wenn man von 7 bis 10 Menschen pro Gebetszentrum ausgeht, die unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten werden, ergibt das nach aktuellen Schätzungen für das Jahr 2022 zwischen 588 und 840 Schicksale. Diese Menschen bleiben der Welt verborgen und sind den willkürlichen Praktiken selbsternannter Propheten hilflos ausgeliefert.

Hilfe wird benötigt: Einblicke in die Unterstützung psychisch Erkrankter

Die Aufnahme von Erkrankten in diese sogenannten Gebetslager ist erwartungsgemäß kostenpflichtig. Für die Inanspruchnahme der Dienste des „Mannes Gottes“, der seine „Heilungskraft“ auf einen göttlichen Ruf zurückführt, wird eine Anmelde- oder Beratungsgebühr von 3000 Fcfa verlangt. Laut ihm ist diese Fähigkeit einzigartig, weder übertragbar noch vererbbar.

In der Region nutzen viele Gebetslager die Gebetstherapie als Hauptbehandlungsmethode für psychische Erkrankungen. Allerdings besteht oft eine spürbare Konkurrenz zwischen der Gebetstherapie, moderner Medizin und traditioneller Heilkunde. Eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ansätze bleibt leider selten.

Hier kommen Hilfsorganisationen ins Spiel, die versuchen, das Leid der Menschen zu lindern. Beispiele hierfür sind St. Camille e. V. und die Mindful Change Foundation Côte d’Ivoire, die wir in Bethel kennenlernen durften. Diese Organisationen leisten wertvolle Unterstützung und verfolgen wichtige Ziele, darunter:

Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen

Überarbeitung und Weiterentwicklung nationaler Gesetzgebungen

Förderung nationaler Gesundheitsprogramme

Ausbildung von Pflegekräften ohne psychiatrische Vorerfahrung

Ergänzung der Versorgung im staatlichen Gesundheitssystem

Ambulante und stationäre Betreuung

Regelmäßige Versorgung mit Medikamenten

Bereitstellung stationärer Behandlungsplätze in Krankenhäusern

Ein Aspekt, der besonders hervorzuheben ist, ist der Fokus auf die Ausbildung von Einheimischen. Diese werden befähigt, eigenverantwortlich Hilfe zu leisten. Ein nachhaltiger Ansatz, der wesentlich effektiver ist, als wenn die Unterstützung ausschließlich von externen Akteuren aus dem Ausland gesteuert wird.

Michael Lieder | Reiseblog24

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